Das Memelgebiet und seine Stempelmarken

Das Memelgebiet und seine Stempelmarken




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Facharikel als Text-Datei

 

Liebe Sammlerfreunde,

 

Etwa Mitte der 80er Jahre gelangte ich durch Zufall über einen Klassenkameraden an eine sehr umfangreiche Sammlung von Stempelmarken „aller Welt“, in der sich auch eine bereits recht ansehnliche Sammlung des Memelgebiets befand. Im Laufe der Zeit konnte ich eine Reihe weiterer Sammlungen und Stücke erwerben, darunter  auch die Sammlung von Herrn Erler. Bei genauer Durchsicht der Markenbestände und einem entsprechendem Abgleich mit dem Katalog der Stempelmarken „Danzig und Memel“ von Norton und Erler, sehe ich die Zeit gekommen, das Gebiet der Stempelmarken des Memelgebiets neu zu bearbeiten. Selbstverständlich wird dieses Unterfangen nur dann gelingen, wenn man sich auf die Schultern von Riesen stellt. Ich möchte deshalb die Gelegenheit nutzen und diese Arbeit Herrn Martin Erler aus Icking widmen, dem Doyen der deutschen Fiskalphilatelie. Gleichzeitig bin ich vielen Sammlerfreunden zu großem Dank verpflicht, so z.B. den Herren R. Ebner (Solingen, Deutschland), Dr. H.-D. Lutz (Villingen, Deutschland), I. Irikov (Riga, Lettland) und V. Ramanauskas (Vilnius, Litauen). Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Buch vor den kritischen Augen erfahrener Philatelisten Bestand hält, verzichtet es doch - in der vorliegenden Form - weitestgehend auf „philatelistische Kenndaten“, wie Angaben zu Zähnungen, Druckformen und Wasserzeichen. Ich habe meinen Schwerpunkt vielmehr auf die Bedeutung der Stempelmarken als Spiegel des Werdens und Vergehens des Memelgebietes gelegt. Es waren nicht familiären Banden, die mein Interesse am Memelgebiet weckten, sondern sein beispielhaftes Schicksal, das einen geopolitisch weitestgehend bedeutungslosen Landstrich für einige Zeit in das Zentrum des Interesses größerer und kleiner politischer Mächte brachte, auf dass es, einer Nußschale gleich, im tosenden Ozean  aufeinander prallender Interessen an die Oberfläche gespült und hin- und hergeworfen wurde, um letztendlich wieder in Bedeutungslosigkeit zu versinken. Späteren Ausgaben wird vorbehalten sein, eine genaue Katalogisierung der Ausgaben sowie deren preisliche Bewertung vorzunehmen. Aufgrund der Seltenheit des Materials und des durch historische Wirren bedingten Verlustes an Archivmaterial, sind viele von mir gezogene Schlußfolgerungen spekulativ und sicherlich zum Teil auch fehlerhaft. Ich bin deshalb für jeden neuen Hinweis und jede Korrektur dankbar und bitte diese, an meine Adresse (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) zu richten. Optimistisch stimmt jedoch, dass noch viel Pionierarbeit zu leisten bleibt und die willkommene Zerstreuung an langen Winterabenden nicht weniger werden wird.

 

In den nächsten Ausgaben werde ich in loser Reihenfolge und auszugsweise von meiner Überarbeitung des Forschungsprojekts „Stempelmarken des Memelgebiets“ berichten. Hierbei wird kein Wert auf eine exakte chronologische Reihenfolge gelegt. Beginnen möchte ich meine Ausführungen mit einigen Angaben zur Geschichte, Geografie und Verwaltungsstruktur des Memelgebiets, gefolgt von einer Übersicht über provisorische Ausgaben während des ersten Jahres des französischen Mandats. So nicht explizit vermerkt, wurden sämtliche Abbildungen auf der Grundlage meiner Sammlung erstellt. Es gilt zu beachten, dass Dokumente und Markenbilder aus Formatgründen in der Regel nicht in Originalgröße wiedergegeben werden.

 


1.1. Geographische Lage

 

 

 

 

 

Teil 1: Allgemeine Steuermarken

Teil 2: Aller Anfang ist schwer: Provisorien des Memelgebiets

 

 

Abb. 1: Das Memelgebiet.

 

 

Memelland

Geographischer Begriff für das Land an den beiden Ufern der Memel in Ostpreußen mit den Kreisen Memel Stadt, Memel Land, Heydekrug, Pogegen, Tilsit Stadt, Tilsit-Ragnit und Elchniederung.

 

Memelgebiet

Politischer Begriff; nach dem Vertrag von Versailles umfaßte das Memelgebiet das Gebiet zwischen Nimmersatt und dem Fluß Memel, den Fluß selbst und eine Linie in der Verlängerung über die Kurische Nehrung und die Ostsee. Das Memelgebiet umfasste nach der Neugliederung der Kreise durch den Reichs- und Staatskommissar für das Memelgebiet, Dr. Graf Lambsdorff, die Kreise Memel Stadt, Memel Land, Heydekrug und Pogegen, wobei letzterem Anteile der ehemaligen Kreise Tilsit und Ragnit zugeschlagen wurden. Die Städte Tilsit und Ragnit verblieben in Ostpreussen und wurden zu Grenzstädten.

Das Memelgebiet umfaßte eine Fläche von ca. 2.800 km2, die von weniger als 150.000 Einwohner bewohnt wurde, wovon ca. 39.000 auf die kreisfreie Stadt Memel entfielen (zum Vergleich: die Freien Stadt Danzig hatte zum gleichen Zeitpunkt über 330.000 Einwohner). Von 100 Erwerbstätigen entfielen 1920 auf die Landwirtschaft 60,5%, auf die Industrie 13,7% und auf den Handel und Verkehr 9,3%. Das geringe Handelsaufkommen mag erklären, warum die Stempelmarken des Memelgebietes durch die Bank recht selten sind.

 

 

 

 

 

1.2. Memelland in Preußenhand

 

 

Von 1422 bis 1920 gehörte das Memelland ohne Unterbrechung zu Preußen. Es verwundert deshalb nicht, dass sich fiskalphilatelistische Dokumente mit preußischen Stempelmarken finden lassen (Abb. 2).

 

 

 

Abb. 2: Beispiele für die Verwendung von preußischen Stempelmarken und Stempelmarken des Norddeutschen Bundes im Memelland.

Es versteht sich von selbst, dass sich die stürmischen Zeiten der Geburt des Memelgebietes auch in seinen Stempelmarken widerspiegeln. Gerade für den Zeitraum von 1920 und 1921 können nach dem heutigen Wissensstand nur anekdotische Anmerkungen gemacht werden. Hier ergibt sich noch ein enormer Forschungsbedarf. 

 


Prinzipiell böte es sich an, die Präsentation der Stempelmarken des Memelgebiets nach verschiedenen Zeiträumen vorzunehmen:

 

A) Provisorien I (1920-1921, französisches Mandat)

B) Deutsche Ausgaben des Memelgebiets (1921-1923)

C) Provisorien II (1923, litauische Besetzung)

D) Litauische Ausgaben des Memelgebiets

 

Abgesehen von der sich anschließenden Auflistung verschiedener Provisorien aus dem ersten Jahr des französischen Mandats, wird jedoch auf eine chronologische Auflistung verzichtet und einer Gliederung nach Verwendungszweck der Vorzug gegeben. 

 

 

1.3. Ein Staatsfragment entsteht: Provisorien zu Beginn des französischen Mandats (1920-1921)

 

Mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches ging der 1. Weltkrieg zu Ende. Im Vertrag von Versailles, der am 28.6.1919 unterzeichnet und am 9.7.1919 durch Deutschland ratifiziert wurde, wird das Memelland als Memelgebiet ohne Volksabstimmung an die Alliierten abgetreten (Artikel 99, Teil II, Abschnitt 10). Am 12.2.1920 erfolgte der Abzug der deutschen Truppen, am 15.2.1920 die Übergabe der Mandatsverwaltung durch den Reichsbevoll­mächtigten, Regierungspräsident a.D. Graf Lambsdorf, an den Befehlshaber der französischen Truppen, General Odry. Am 16.2.1920 wurde das Memelgebiet durch französische Truppen besetzt, am 17.2.1920 entstand das „Landesdirektorium des Memelgebietes“, am 27.4.1920 wurde die Zollgrenze zum Deutschen Reich eingerichtet. Am 18.11.1920 wird die Reichsbank durch die alliierten Hauptmächte zur Weiterführung der Geschäfte im Memelgebiet veranlasst. Über die Zeit unter französischem Mandat schrieb Hubbatsch [Das Memelland 1920 – 1939 und das Problem der Minderheiten. Memeler Dampfboot 10-13, 1964]:

 

„Während der Zeit des Kondominiums (1920 – 1923) war die völkerrechtliche Stellung des Memelgebiets von vornherein anders als in Danzig. Die bei Danzig vorhandene staatliche Existenz fehlte Memel; dieses blieb ein Staatsfragment. Der rechtliche Schutz lag nicht beim Völkerbund, sondern war von den vier alliierten und assoziierten Hauptmächten abhängig. Der diplomatische Schutz der Memelländer wurde durch Frankreich wahrgenommen. Die interne Verwaltungspraxis hat jedoch nach wie vor die Memelländer als Deutsche behandelt. Der deutsche Rechtszustand blieb erhalten, das ganze Gebiet wurde zu einem Landgerichtsbezirk zusammengefaßt. Der Wegfall der höheren Instanzen von Oberlandesgericht Königsberg und Reichsgericht ist durch ein gemeinsames Danzig-Memelländisches Obergericht in Danzig am 30.8.1920 ausgeglichen worden. Der Eisenbahnverkehr im Memelgebiet wurde weiterhin durch die Reichsbahn auf Rechnung des Reiches durchgeführt. Die Post wurde memelländisch selbstständig, die Polizei von der Besatzungsmacht gestellt. Die innere Verwaltung wurde so eingerichtet, daß ein Gouverneur im Namen der alliierten Mächte eingesetzt wurde, der gesetzgeberische Hoheit hatte. Dieser ernannte das aus der memelländischen Bevölkerung ausgewählte Landesdirektorium. Erst am 2.3.1922 kam es zu einer Verordnung über die Befugnisse der alliierten Verwaltung und des Landesdirektoriums. Zum Oberkommissar wurde der französische Präfekt Pétisné bestellt, diesem blieben vorbehalten: Polizeihoheit, Regelung militärischer Angelegenheiten, Gnadenhoheit, Anstellung mittlerer und höherer Beamter. Das Verwaltungsgericht und der Staatsrat wurden neu eingerichtet, das Land in den Stadtkreis Memel und die drei Landkreise Memel, Heydekrug und Pogegen eingeteilt.“

 


1920 finden sich eine Reihe provisorischer Ausgaben, bei denen preußische Stempelmarken mit Handstempeln „MEMELGEBIET“  und/oder dem Stadtwappen von Memel (Stadt) versehen wurden.

 

 

 

Abb. 3: Frachtstempelmarke des Deutschen Reichs mit Handstempel (MEMELGEBIET), abgestempelt im Dezember 1920. Weitere Werte (SF K. Gnadl): 2M + 1M MEMEL (20.12.20); 4M MEMEL (21.12.20)

 

  Die Schaffung von „Provisorien“ durch Abschlag eines Handstempels „MEMELGEBIET“ bzw. „MEMEL“ kann auch bei anderen Stempelmarken Preußens und des Deutschen Reichs nachgewiesen werden, wie z.B.:

 

 

Notariatsstempel

(Handstempel Typ 1)

Wechselstempel

(Handstempel Typ 1)

Notariatsstempel

(Handstempel Typ 2)

Barefoot-Katalog

 

 

Abb.4: Beispiele weiterer Aufdrucktypen auf Stempelmarken Preußens und des Deutschen Reichs.

 

Zudem scheinen Briemarken der Germania-Ausgabe von 1920 mit dem Überdruck „Memelgebiet“ fiskalisch verwendet worden zu sein.

 

 

Abb. 5: Fiskalische Verwendung der Germania-Ausgabe des Memelgebiets.

 

 

 

Allgemein fällt auf, dass – anders als bei den Briefmarken – von französischer Seite keine Stempelmarken für das Memelgebiet ausgegeben wurden. Entsprechende postalische Ausgaben wurden jedoch als Frachtstempel verwendet.

 

 

Abb. 6: Fiskalische Verwendung der französischen Briefmarkenausgaben des Memelgebiets.

 

 

 

Die „Zweckentfremdung“ preußischer Quittungsmarken für die Entrichtung von Katastergebühren lässt sich sogar bis 1922 nachweisen, gegebenenfalls mit zusätzlichem Wertaufdruck. 

 

 

Abb. 7: Verwendung preußischer Quittungsmarken für Katasterge­bühren. Diese Verwendung kann durch die abgeschlagenen Stempel nachgewiesen werden.

 

 

Überraschend war zudem die Erkenntnis, dass es sich bei den preußischen Gebührenmarken mit dem roten Stempelabschlag „Territoire de Memel“ keineswegs, wie zuvor angenommen (Norton/Erler), um die provisorische Verwendung für Katastergebühren handelt, sondern um Ausgaben zur Entrichtung von Passgebühren. Hier zeigt sich eine außerordentliche Vielfalt unterschiedlicher Provisorien, die an gegebener Stelle detailliert vorgestellt werden.

 

 

Abb. 8: Grundstückstempel des Deutschen Reichs, der durch das Landesdirektorium mit einem neuen Wert überstempelt und durch einen roten Zweikreisstempel als Visumgebühr entwertet wurde.

- Fortsetzung folgt -

 

 

 

 

 

 

 

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